23. September, Oualidia – Casablanca
Heute geht es weiter nach Casablanca - der Ruf dieser Stadt macht schon einen gewissen Reiz aus.
Zunächst aber warten wir 3 Stunden im Grand Taxi auf dessen Abfahrt. Erst müssen sich 6 Passagiere gefunden haben. Während dieser Wartezeit gehen die Kinder des Dorfes zur Schule und kommen auch wieder zurück.
Zwischenmenschliches. Endlich gesellen sich noch 4 weitere Passagiere in unser Taxi und wir können starten. Es ist ziemlich eng und ich bin ziemlich müde. Neben mir sitzt eine total vermummte Araberin. Sie ist Köchin und fährt zur Arbeit in einem der noblen Vororte von Casablanca. Schließlich fallen mir die Augen zu und mein Kopf sinkt auf ihren Schoß. Während ich so schlafe amüsiert sich das Taxi bestens, die Araberin neben mir nimmt’s aber ganz locker.
Als ich wieder aufwache ist Martin ziemlich aufgeregt. Er berichtet mir, ich hätte das gewagteste Ausweichmanöver unserer ganzen Reise verschlafen. Offenbar sind wir gerade nochmal über den Grünstreifen davon gekommen, als der Gegenverkehr während des Überholens unerwartet dichter geworden war.
Vom Taxistand bis zur Jugendherberge direkt am Hafen laufen wir einmal quer durch die Stadt. Obwohl Casablanca sehr europäisch und typisch großstädtisch wirkt, gefällt es uns hier sofort sehr gut. Das Stadtbild bestimmen weiße Blocks, teilweise im Art Deco Stil. Dazwischen, in den Straßen, das typische afrikanische Chaos. Hier besuchen wir unseren ersten marokkanischen Mc Donald’s und wie gewöhnlich gehen wir auch hier kurz ins Internet.
Zwielichtiges. Am Abend beschließen Martin und ich, uns in Casablanca erstmals seit Wochen, so richtig zu betrinken. Dieses Unternehmen ist allerdings gar nicht so einfach, wie es den Anschein haben könnte. In die Clubs der Wohlhabenden und der Europäer kommen wir in unserer Aufmachung gar nicht rein. An der Ecke Alkohol kaufen geht in diesem arabischen Land allerdings auch nicht – nur Kenner wissen, wo es etwas zu trinken gibt.
Mitten im Zentrum von Casablanca sprechen wir daher eine Frau an, die aussieht als wüsste sie, wo es Alkohol gibt: Sie ist offensichtlich eine Prostituierte. Sie scheint sich auch gleich ein größeres Geschäft zu erhoffen, will uns zunächst ein Taxi rufen. Wir erheben Einspruch und so laufen wir einige Blocks, bis sie uns einen kleinen Laden zeigt. Sie wartet draußen auf uns.
Wir kommen heraus mit einer Flasche Vodka und zwei Packen Orangensaft. Der Prostituierten geben wir 20 Dirham, damit sie uns schließlich doch wieder ziehen lässt. Mit unserem Alkohol setzen wir uns in den Park und beginnen mit der Zeremonie.
In Marokko kennt man keinen Individualismus. Marokkaner können nicht verstehen, dass man auch mal alleine mit sich und seinen Gedanken etwas trinkt und vorläufig keine Gesellschaft wünscht. Weil sie das nicht kennen, kommen sie in Scharen. Deshalb - und weil sie selber schon wieder viel zu lange trocken waren.
Eine ganze Menge Stadtpenner werden von unserem Alkohol angezogen. Wir müssen ihnen wohl einige Schluck abgeben, um nicht zu riskieren in Streit mit ihnen zu geraten. Allerdings erklären wir ihnen auch, dass sie als Muslime so etwas ja eigentlich gar nicht dürfen. Beleidigt nehmen sie noch einen Schluck. So reden wir und wenn die Menge wieder zu groß wird, wechseln wir unseren Sitzplatz. Ganz am Ende sitzen wir in einer stillen Ecke am Rande der Medina, nahe beim Hafen, haben unsere Ruhe, müssen aber auch den Gestank von schlechtem Fisch ertragen.
Nach einer harten Nacht in der Jugendherberge laufen wir am nächsten Morgen am Hafen entlang in Richtung der großen Moschee Hassan II. Die „Mutter“ aller marokkanischen Touristenattraktionen ist tatsächlich ein äußerst beeindruckendes Gebäude. Das Minarett ist gigantisch, die Tore zum riesigen Gebetsraum unvorstellbar groß. Die Moschee liegt direkt am Meer, hinter dem Gotteshaus branden die Wellen und es riecht leicht nach Fisch.
Die große Moschee. Die heiligen Hallen dürfen nur barfuß und im Zuge einer Führung betreten werden. Das innere der Moschee ist gleich noch viel beeindruckender. Zedernholz aus Azrou bildet das gewaltige Dach (das man öffnen kann) und 10000 Handwerker aus Marrakesch sind für die kunstvollen Verzierungen an den Säulen verantwortlich. Die Führerin betont, dass fast ausschließlich Materialien aus Marokko verbaut wurden – mit ausnahme des italienischen Marmors natürlich. Tatsächlich hört sich die Führung durch die Moschee wie ein langer Werbespot für den König und das Königreich an – kein Wort darüber, dass die Menschen gezwungen wurden, für das 1993 fertiggestellte Gebäude zu spenden.
Reich und Schön. Anschließend wandern wir an der „Corniche“ entlang, wo reiche Villen auf den Atlantikstrand treffen. Hier ist das Revier der „Schönen und Reichen“ Marokkos. Allerdings scheint es von denen nicht viel zu geben: Die Strandbäder sind verlassen und verfallen. Einige Straßenkinder albern am Strand herum. Einzig der Verkehr auf dem Boulevard ist immens. Schließlich aber finden wir die oberen 10000 dieser Stadt und dieses Landes doch noch: Gut gelaunt haben sie sich versammelt: Im Mc Donalds mit Meerblick. Auch wir „nehmen einen Tisch“ und schauen den jungen Familien mit ihren Kindern zu. Hier wächst man vollkommen anders auf, als in den anderen Landesteilen, die wir bisher besucht hatten. Kinder wie Eltern tragen westliche Kleidung. Frauen sind gar nicht oder nur leicht verhüllt.
Als wir mit dem Vorortbus weiter durch die reichen Viertel in Casas Westen fahren fallen besonders die hohen Mauern um ihre Grundstücke auf. Dahinter kann man nur ganz flüchtig auf gut gepflegte Rasenflächen, schicke Villen und viele Palmen blicken. Ein bisschen wie Kalifornien.
Später laufen wir durch die Innenstadt von Casa und passieren so berühmte Cafes in denen einst Antoine de Saint Éxupery und andere Berühmtheiten ein und ausgingen. Wir treffen auch ein englisches Pärchen wieder, mit dem wir uns schon früher auf der Reise ein Taxi geteilt hatten.
Am Abend bin ich allein unterwegs. Ich setze mich in eines der Straßenrestaurants am Place des Nations Unies und bestelle mir einen Teller Nudeln. Ich habe mein Buch dabei und schaue ansonsten dem Treiben auf der Straße zu. Das ist etwas, das man in Deutschland vermissen könnte – Restaurants und Cafes wo man auf der Straße eine Kleinigkeit isst oder Tee trinkt und dann einfach stundenlang dem Treiben rundherum zusieht. Nach einer kleinen Wanderung durch die abendliche Medina kehre ich zurück in die Jugendherberge. Allein unterwegs zu sein ist auch gar nicht so schlecht.