Chefchaouen – Fes, 3. September 2005
Bus-Chaos. Schon am Tag zuvor hatten wir uns um Fahrkarten nach Meknes bemüht und so standen wir erwartungsfroh, pünktlich morgens um
Das Problem war nur, dieser Bus war voll – aber kein Problem, das man in Afrika nicht lösen könnte. Laut mit den Besatzungen diverser Busse verhandelnd lief der gute Mann zwischen den Wägen umher; wir ständig hinterher, mit einem Blick auf unser Gepäck, das ständig zwischen den Bussen hin und her gereicht wurde. Busfahren in Afrika ist einfach toll, schon in Fahrt, wird noch immer Gepäck verladen, Menschen springen auf und ab, überall wird laut gerufen und verhandelt.
Schließlich saßen wir in einem alten, weißen Mercedes Taxi, das uns bis Bab Taza brachte, wo wir auf unseren Anschluss in einem kleinen Cafe warteten.
Die weitere Fahrt bis Fes war lang und anstrengend. Der Steward, ein lustiger langer Araber mit Baseballkappe verteilte Plastikbeutel an Reisekranke Passagiere. Der Bus schlingerte Stundenlang durchs Gebirge. Später hellte laute arabische Musik die Stimmung auf während wir durch wüstenähnliches Gebiet auf die Millionenstadt Fes zurollten. Noch einmal durch das Chaos am Busbahnhof – ein lauter Knall und schwarzer Rauch beschleunigte den Aussteige- und Entladevorgang des Busses – dann schlossen wir uns zwei Engländerinnen an, die in Fes das Hotel Cascade gebucht hatten. Für 40 Dirham die Nacht bezogen wir dort die Dachterrasse mit tollem Ausblick über die Stadt.
Fes,
Die Muezzin-Lautsprecher sind in Fes qualitativ deutlich schlechter als in Chefchaouen. Im ersten Moment denkt man, eine Kuh stehe auf dem Dach des Hotels und wolle etwas sagen.
Fes,
Der Himmel wird dunkel, ein leichter Wind entwickelt sich zu einigen heftigen Böen, die über die geschäftige Medina von Fes rauschen. Im Hintergrund über den Dächern der Stadt ist von hier aus die wüstenartige Landschaft zu sehen. Es ist immer noch heiß. Alte Männer mit blinden Augen sitzen in den Hauseingängen. Das rhythmische Hämmern eines Schmiedes tönt gleich bleibend im Hintergrund: Das ist genau der Anfang von „Der Exorzist“.
Fes, 4. September, ein Cafe am Rande der Altstadt.
Unheimliches Fes. Fes ist eine unglaublich tolle Stadt. Mysteriös und unheimlich gelegentlich, verwirrend und labyrinthisch in ihrem Aufbau. Enge Gassen, überdacht mit Strohmatten, teilweise auch tunnelartig verlaufend führen kreuz und quer, scheinbar ohne durchschaubares System. Überall sitzen Händler und bieten Obst, Stoffe und Fleisch an. In einem Stand können wir mit ansehen, wie lebende Hühner aus einem Käfig genommen und innerhalb weniger Augenblicke geschlachtet, gerupft und schließlich ausgenommen werden. Alte Männer sitzen in den Ecken und starren mit blinden Augen, Esel, bepackt mit Leder oder Waren für die Geschäfte werden durch die engen Straßen getrieben.
Wir lassen uns auf das Treiben ein und verlieren uns in dieser Stadt in kürzester Frist. Wir lassen uns treiben und gelangen von einem interessanten Eck ins nächste. Einmal duftet es nach Gewürzen, dann kommen wieder Fischstände. Überall wird lautstark gehandelt. Besonders hoch geht es auf dem Frauen-Markt her. Hier sind nur wenige Männer unterwegs, das Weibsvolk feilscht um Klamotten, Haushaltswaren und ähnliches.
Die letzte Nacht war heiß gewesen, so waren wir erst spät zu Bett gegangen. Auf einem großen Platz vor der Medina waren wir noch einige Zeit gesessen und hatten einen alten Mann mit seinem tanzenden Affen beobachtet. An einer anderen Stelle erzählte ein junger Schwarzer im Beduinengewand gestenreich von den Vorzügen seines Aphrodisiakums – die jüngeren Zuschauer mussten den Kreis der Neugierigen verlassen. Nach dem Abendessen nahe bei unserem Hotel hatten sich zwei Engländerinnen zu uns gesetzt, die später auch bei uns auf der Terrasse schliefen. Bei einer Wasserpfeife auf dem Dach unseres Hotels unterhielten wir uns eine Weile, aber im Grunde ist diese Art der Unterhaltung immer gleich: Woher kommt ihr? Was habt ihr schon gesehen? Wieviel Zeit habt ihr?
Der Schlaf in dieser Nacht war unruhig. Die Hitze und viele Fliegen setzten uns sehr zu. Wo immer die Haut Stoff berührt wird alles von Schweiß durchtränkt. Nirgends auf der Welt schmeckte mir eine kühle Cola so gut wie im heißen Fes.
Das Gerberviertel. Vorhin dann, nachdem wir im Gewirr der Medina vollkommen verloren gegangen waren, haben wir uns von einem kleinen Jungen für fünf Dirham und einen Kugelschreiber ins Gerberviertel führen lassen. Der Duft verrät dieses Gewerbe auf einige Entfernung. Wir betraten durch eine winzige Tür einen engen Flur, enge Treppen führten durch das dunkle Haus, bis wir schließlich in einem Verkaufsraum mit unzähligen Ledertaschen, Schuhen und Poufs ankamen. In dem Raum war bereits einiges Getriebe, das erste mal sah man mehrere augenscheinliche Touristen auf einem Haufen, umringt von arabischen Verkäufern. Freundlich bat man uns zunächst auf den Balkon des Hauses – das geschäftliche sollte wohl noch einen Augenblick warten.
Unter uns breitete sich ein geräumiger Hof aus, der aufgeteilt in viele kleine Färbebecken das Zentrum einer Gerber-Kooperative bildete. Weiße Kalkbecken und braune Becken in denen die Männer die Häute färbten. Auf den Dächern ringsum wurde das fertige Leder dann getrocknet. Die Luft roch penetrant nach Ammoniak, der hier aus Taubenkot – einem kostbaren Rohstoff – gewonnen wird. Der Anblick war gigantisch und unwirklich, wie vor vielen hundert Jahren.
Die halb nackten Männer schufteten für einhundert Dirham am Tag, waren über und über verdreckt und den ganzen Tag lang größter Hitze ohne Schutz ausgesetzt.
Der Mann, der uns auf die Terrasse gebeten hatte erklärte, dass viele von ihnen früh Rheuma kriegen – schätzungsweise gibt es auch noch ganz andere Leiden, die man sich mit diesem Beruf einfangen kann.
Nachdem wir uns satt gesehen hatten und schon vor lauter Übelkeit den Balkon verließen, bat man uns einen Blick auf all die Lederwaren zu werfen, die hier ausgestellt waren. Für meine neue WG-Wohnung habe ich mir schließlich ein paar typische Hausschuhe gekauft. Martin und ich schafften es, unseren Verkäufer von 220 Dirham auf 140 herunter zu handeln, ob das ein guter Preis war, wissen wir aber nicht. Die qualitativ schlechtere Ware „für die Amerikaner“ wurde an Touristen jedenfalls zum Teil für mehr Geld verkauft.
Straßenkinder. Nach dem Café beschließen wir die Nachmittagshitze im Hotel abzuwarten, verlaufen uns aber erneut in der alten Medina. Ein großer Haufen Kinder läuft uns hinterher. Wir unterhalten uns kurz mit ihnen und schießen ein paar Fotos, was Kindern in der Stadt immer großen Spaß macht – bei Kindern auf dem Land kommt es dagegen schon mal vor, dass sie vor Angst davon rennen.
Ein Junge aus der Gruppe folgt uns noch ein ganzes Stück, läuft uns hinterher während wir einen Ausweg aus der Medina suchen. Als wir allein mit ihm sind spricht er uns schließlich frech an: „Fuck Fuck?“ und versucht sich an uns ranzuschmeißen. Wir sind einen Augeblick lang baff und jagen ihn schließlich davon. Der Junge war höchsten zehn Jahre alt.