Thursday, October 27, 2005

Vom Handeln in Chefchaouen




Chefchaouen, 2. September 2005

Heute Morgen ist die kleine Araberin wieder gekommen, um in unserer Kifferkomune auf dem Dach von Hotel Castellan sauber zu machen. Es bereitete ihr dabei größte Freude, die leeren Plastikflaschen, die überall herumlagen, mit Schwung in die Gärten der Nachbarschaft zu befördern.

Unseren Ruhetag in Chefchaouen verbringen wir meist auf dem Dach unseres gemütlichen Hotels oder in den blau scheinenden Gassen der Medina. Die blaue Farbe an den Häusern stammt noch von den Juden, die hier früher einmal lebten. Am Abend kommen zwei Deutsche an, die wie wir VWL studieren. Endlich wieder Fachgespräche! Eine Diskussion um die Effektivität des Handelns in Marokko entbrennt.

Das Handeln. Sehr gewöhnungsbedürftig ist für Europäer die Tatsache, dass es in Marokko fast keine festen Preise gibt. Um alles - ausgenommen Nahrungsmittel - wird gehandelt. Während unseres Trips haben wir oft frustrierte Reisende getroffen, denen die Preisverhandlungen mit den Marokkanern extrem unangenehm waren. Zum einen hatten sie das ständige Gefühl über den Tisch gezogen zu werden und zum anderen meinten sie, sich mit den Marokkanern zu streiten. Tatsächlich war unsere Erfahrung, dass auch nach dem Abschluss härterer Verhandlungen aller Zwist vergessen ist. Und wenn man stets bedenkt, dass man nie gezwungen ist einen unvorteilhaften Handel abzuschließen, wird man auch nicht unbedingt über den Tisch gezogen.

Ein gern genutztes Argument der Marokkaner bei Preisverhandlungen ist der Reichtum der Europäer, der sie quasi verpflichtet, jeden Preis zu zahlen. Tatsache ist, dass ein Europäer, der jeden Preis zahlt, die Preise verdirbt. Sein marokkanisches Gegenüber könnte zu der Überzeugung gelangen, gar nicht mehr an zahlungsschwache Landsmänner, sondern nur noch an die per se reichen Europäer zu verkaufen.

Trotzdem ist es natürlich schwer als Europäer die gleichen Preise wie die Marokkaner zu erreichen. Diese kennen sich über die üblichen Preise besser aus und haben viel mehr Erfahrung im Verhandeln.

Um den Preis auf ein angemessenes Niveau zu drücken braucht man vor allen Dingen eine gute Ausgangsposition. Keinesfalls sollte man auf einen einzigen Handelspartner angewiesen sein. Die Erfahrung haben wir zum Beispiel gemacht, als wir in Akschour auf jeden Fall ein Taxi zurück in die Stadt brauchten. Dort gab es nur einen Anbieter, der die volkswirtschaftliche Theorie des Monopols bestätigte und seinen Preis weitgehend frei bestimmen konnte.

Ein Vorteil des Handelns für den Verkäufer ist zweifellos die Möglichkeit zur Preisdiskriminierung. Das heißt, der Verkäufer einer Ware kann bei offensichtlich höherer Zahlungsbereitschaft eines Kunden auch einen höheren Preis durchsetzen, während er sich bei zahlungsschwächeren Kunden bis auf ein gewisses Niveau, auf dem er gerade noch Gewinn erwirtschaftet herunter lässt.

Eigene Taktik. Unsere Taktik bei Verhandlungen war am Anfang unserer Reise nur sehr schwach gegenüber den Verkäufern. Aber mit einigen Tricks konnten wir den Verfall der Preise hin und wieder beschleunigen. Während ich den zaudernden, aber durchaus wohlmeinenden Interessenten gab, zerrte mein Reisegefährte an mir und machte deutlich, dass er weiter will und er die angebotene Ware für Schrott hält. Überhaupt hat sich das durchaus freche Anzweifeln der Güte der angebotenen Waren als recht erfolgreiche Strategie herausgestellt. Hin und wieder passierte es uns aber auch, dass wir von den scheinbar beleidigten Händlern zum Teufel geschickt wurden.

Mit der Zeit machte das Verhandeln um Preise auch immer mehr Spaß und wir stellten fest, dass unsere Ausgaben zum Ende der Reise geringer wurden, weil wir immer besser mit den Tricks der Araber und ihrem "arme-Leute-Hundegesicht" fertig wurden. Der erste Preis den der Araber nennt ist immer zu hoch - auch wenn er es mit dem nettesten Lächeln und der sanftmütigsten Stimme der Welt tut. Eine Faustregel sagt, von nun an liegt es am Käufer, den Preis auf etwa ein Drittel, zumindest aber auf die Hälfte zu drücken. Das zu schaffen kann Zeit, Nerven und Kraft kosten, ist aber ein sehr geschätztes gesellschaftliches Ritual, dass durchaus mit Humor und viel Honig um den Mund des Verkäufers verbunden sein kann.

Arabische Freunde. Nachdem die Diskussion mit den zwei Studenten für uns als Sieg verbucht werden kann - Martin, als Verfechter des individuellen Handelns, hat beide zunächst sehr selbstbewussten Redner in Grund und Boden versinken lassen - verlassen wir das Hotel. Wir gehen, wie schon am Vorabend, zu einem kleinen Imbiss neben der alten Kashbah um marokkanisches Junk-Food – ein Baguette mit Tomate, Zwiebel, Thunfisch, Kapern, Oliven, Nudelsalat, drei anderen Salaten, noch ein paar mehr Sachen, rote Beete und zu oberst Pommes Frites und Ketchup – zu konsumieren. Dabei treffen wir eine Gruppe junger Araber wieder, mit der wir uns schon am Vortag unterhalten hatten. Zwei von ihnen wollen deutsch lernen, und um ihnen dabei zu helfen, laden sie uns in ihre Kneipe ein. Es wird ein sehr lustiger Abend an dem beide Seiten etwas dazulernen. So übersetzen uns die Araber den Muezzin Ruf, der uns auch nachts gelegentlich weckt. Aber Gespräche zwischen Arabern und Europäern bleiben selten auf diesem unangreifbar hohen Niveau:
Als die Stimmung ausgelassener wird, lernen wir die wichtigsten Sexualorgane auf arabisch auszusprechen.

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