Monday, September 19, 2005

Kamelrücken



Preisfindung. Wegen des geplanten Kamel-Treks unterhalten wir uns mit verschiedenen Gästen in der Herberge. Alle, die eine solche Tour unternommen haben, sind vollauf begeistert, viele sagen aber auch – was unser Reiseführer bestätigt – dass die Preise in unserem Hotel zu hoch und schwer verhandelbar sind. Wir wollen noch etwas abwarten und an einem der folgenden Tage zu einem anderen Hotel wandern, um die Preise zu vergleichen. Viele Touristen in Marokko sind über das Handeln frustriert und fühlen sich ständig über den Tisch gezogen. Das liegt auch daran, dass viele Marokkaner versuchen aus den Touristen so viel herauszupressen wie möglich – ein Grund warum nur 3% das Land ein zweites Mal besuchen.

Im Gegensatz zu den meisten Touristen sind wir bester Dinge, haben noch für keine Übernachtung mehr als fünf Euro bezahlt und wenn ein Verhandlungspartner mit zu übertriebenen Preisen anfängt brechen wir das Handeln gleich wieder ab. Man muss seinen Humor behalten und stets freundlich bleiben, aber auch stets zeigen, dass man nicht vom Kauf abhängt. Martin beherrscht die Strategie des scheinbaren Desinteresses schon recht gut, aber wir wollen noch besser werden. Für unsere Verhandlung um den Kamel-Trek wollen wir uns eine gute Position erarbeiten und unsere ungeduldiger werdenden Gastgeber noch etwas zappeln lassen.

Zwei Franzosen, die wir in den Dünen treffen staunen nicht schlecht, als wir ihnen unseren Preis für die Unterkunft in LaHamada nennen – 25 Dirham pro Nacht, das sind etwa 2,50 Euro. Unsere Gastgeber müssen uns zu einem Trek überreden, wenn sie an uns verdienen möchten. Aber jedes Mal wenn der große Chef vorbei kommt tun wir etwas schläfrig und verschieben die Verhandlungen auf später.

Wir kennen inzwischen die Preise der anderen Gäste: 650 Dirham, 500 Dirham, 1000 Dirham (mit jeweils leicht variierenden Leistungen) und wir kennen inzwischen die Preise des Nachbarhotels: 400 Dirham. Wir warten einen weiteren Tag ab.

Skifahren in der Wüste. Die Zeit bringen wir leicht herum. Die Dünen sind unser ständiger Spielplatz. Am Abend rennen wir fast nackt durch den Sand, fotographieren Sprünge und Handstände. Die Szenerie lässt einen übermütig werden.

Ein andermal wollen wir das Hauseigene Snowboard – ein relativ altes Gerät – ausleihen. Bei dem Preis von 50 Dirham pro Person winken wir allerdings ab. Unser Gegenüber ist nicht zu Preisverhandlungen bereit, behauptet, das Board würde ständig ausgeliehen zu diesem Preis. Während der fünf Tage, die wir in der Wüste verbringen, verleiht er es nicht einmal.

Als wir den Hof der Herberge ohne Board verlassen finden wir im Sand gleich außerhalb tatsächlich einen einzelnen Ski – das Glück ist weiterhin auf unserer Seite.

Mit dem einzelnen Ski kommen wir nach einigen erfolglosen Probleläufen auch ganz schön rasant die Dünen hinunter. Mit dem Hintern auf der Bindung, den Füßen auf dem Vorderski und den Händen zum Abstützen steuern wir im heißen Sand.

Verhandlungen. Am Abend des 9. Septembers kommt es dann nach dem Essen auch endlich zu den ersehnten Verhandlungen über den Kamel-Trek. Der Chef in weißem Gewand setzt sich zu uns und unterbreitet bei einigen Gläsern Tee das Programm. Fotos werden gezeigt, Freundlichkeiten ausgetauscht. Wir bleiben zurückhaltend und haben im Voraus unsere Zielmarke und Zahlungsbereitschaft bei 450 Dirham festgelegt. Nach und nach legen wir während der Verhandlungen unsere Informationen auf den Tisch, schon im Vorfeld wusste unser Verhandlungspartner, dass wir bei den Nachbarn waren. Sein Eröffnungsgebot, dass er nach längerem hin und her endlich nennt, ist deshalb schon sehr nah an unserem Zielgebiet: 500 Dirham. Von Preisen, wie sie einige Gäste bezahlt haben bleiben wir also verschont. Bei den Verhandlungen gehen wir von einem Gebot von 350 Dirham aus und bewegen uns langsam aufeinandern zu. Es ist bald klar, dass wir uns bei 450 Dirham treffen werden. Als der Handel beschlossen ist, schütteln wir die Hände und freuen uns auf die Tour am nächsten Tag. Am 10. September, gegen Abend, werden wir zu unserer Tour aufbrechen.

Beim Frühstück lernen wir seit längerem auch wieder einen Deutschen kennen. Er ist weit gereist: Sudan, Ägypten, Syrien, Palästina, Libanon. Er ist evangelischer Priester in Ausbildung, etwas enttäuscht über Marokko (wie so viele) aber erfreut, mitten in der Wüste politisch interessierte Jugendliche zu treffen.

Der Kameltrek – erwartet für Tage – beginnt um 5 Uhr als die Hitze des Tages wieder am vergehen ist. Mit uns auf der Tour sind ein australisches Paar, das gerade dabei ist, eine einjährige Weltreise zu unternehmen und David, ein Ire aus Limerick.

Unser gutmütiger Kamelführer läd unser weniges Gepäck auf und hilft uns, die knienden Tiere zu besteigen. Mit strengen „Outsch-Outsch“-Rufen bringt er sie anschließend in ihre aufrechte Position. Dabei muss man sich gut festhalten um nicht abgeworfen zu werden. Dann setzt sich der Trek in Bewegung – seelenruhig, mit leicht schlurfendem Schritt trotten unsere fünf Dromedare ihrem Führer hinterher.

Wenn man es sich auf ihrem Rücken erst einmal so richtig eingerichtet hat ist es sogar einigermaßen bequem und auch länger auszuhalten. Ob ich so allerdings die 52 Tage bis Timbuktu zubringen wollte bezweifle ich stark.

Die Tour geht in die Dünen, auch nach 4 Tagen in Merzouga noch ein atemberaubender Anblick. Erstmals sind in alle Richtungen, soweit das Auge reicht, nur Dünen zu sehen.

Martin hat das „Problem-Kamel“ erwischt: Auf dem Weg streikt es plötzlich und wirft ihn ab. Ansonsten verläuft der Ritt problemlos, nach etwa 1,5 Stunden erreichen wir ein Berbercamp.

Nomadenlager. Die Berber leben hier scheinbar noch genauso, wie vor hundert Jahren. Um die wenigen Sträucher und Palmen einer Senke gruppieren sich flache Zelte aus braunen Decken. Ein paar Kinder begleiten uns, die Bewohner heißen uns freundlich willkommen.

Auf einem großen Teppich vor einem der Zelte bekommen wir Tee serviert und beginnen schüchtern eine Konversation mit unserem Führer und dem Chef der Berberfamilie. Zum Sonnenuntergang besteigen wir eine Düne – ein großartiger Ausblick. Ein kleiner Junge der Familie serviert uns das Abendessen – Tajine – und bleibt auch noch um sich etwas zu unterhalten. Dafür, dass der Junge keine Schule besucht kann er sehr gut Englisch. Die Tajine schmeckt ausgezeichnet, ist die beste, die wir bisher in Marokko hatten. Und wir hatten schon viele. Die marokkanische Küche, die wir auf unserer Reise erleben, ist nicht sehr abwechslungsreich: Sie kennt Couscous, Brochette und Tajine.

Natürlich gilt das nicht für die marokkanische Küche im allgemeinen, mit ihren Millionen Gewürzen. Wenn man aber im Landesinnern unterwegs ist und nicht von den wohlhabenderen zum Essen eingeladen wird, bzw. sich in den Küstenstädten kein allzu teures Restaurant leisten will, muss man oft mit sehr dürftiger Küche vorlieb nehmen.

Sandsturm. Die Nacht ist zunächst wunderschön, wir, die wir aus der hellen Zivilisation kommen, haben so etwas noch nie gesehen. Wir sehen klar den hellen Streifen der Milchstraße, Sternschnuppen und Satelliten, die selbst über dieser verlassenen Gegend ihre Kreise ziehen.

Später entwickelt sich ein veritabler Sandsturm und verdunkelt den Himmel. Da wir alle im freien Schlafen verstecken wir uns so gut es geht unter den Schlafsäcken. Allerdings habe ich Angst vollständig begraben zu werden. Der Wind rüttelt heftig am Schlafsack und als ich ein oder zweimal einen schüchternen Blick nach raußen werfen will kriege ich eine gehörige Ladung Sand ab. Die Kamele, mit ihren vielen übereinander liegenden Augenlidern, schlafen weiter und zeigen sich wenig beeindruckt. Nach und nach werden unsere Sachen unter einer Sandschicht begraben.