Thursday, October 27, 2005

Drogentrip


Chefchaouen, 1. September 2005

Heute sind wir zu einer zweitägigen Wanderung in die Berge aufgebrochen. Das heißt: Es sollten eigentlich zwei Tage werden.

Wir hatten uns vor dem Trip erkundet welches die besten Wege wären und wo die Gegend am schönsten sei. Der alte Mann aus unserem Hotel La Castellana hatte uns in der Stadt wiedererkannt und sich beim Abendessen zu uns gesetzt. Er war Bergführer, sprach ziemlich gut deutsch und konnte uns den ein oder anderen Ratschlag geben. Ein lustiger Kerl.

Irrwege. Aber trotz allem schlugen wir schon wenige Meter oberhalb der Stadt den falschen Weg ein. Kurze Zeit später ließen wir uns von einem alten Lieferwagen mitnehmen. Wir bemerkten unseren Irrtum bald, fuhren wir doch zunächst durch eine wenig anschauliche Gegend. An den Hängen der Berge ringsum nur Bauruinen und ärmliche Menschen, Straßenköter und Müll. Bald passierten wir riesige Müllberge, teilweise in Brand stehend, während kleine, verlumpte Kinder in ihnen herum stiegen. Schließlich setzte uns der junge Mann mit dem Lieferwagen in einem kleinen Dorf ab und wir hatten endgültig die Orientierung verloren. Anstatt in den bewaldeten Bergen des Rif-Gebirges herumzusteigen, waren wir nun – so ahnten wir – mitten in Kiff-Country gelandet.

Unter Drogen. Auf Anfrage erfuhren wir bald, dass das Dorf „El Kelaa“ hieß. In diesem Dorf lud unser Lieferwagen Frauen und Kinder mitsamt Säcken und Gepäck ein, wohl, um zum nächsten Marktflecken zu fahren. Das Auto verschwand und wir standen da - um uns herum nur ein ärmliches Dorf und alte Männer mit argwöhnischem Blick. Außerdem: Felder mit Marihuana so weit das Auge reichte. Das ganze Tal war voll davon. Große Felder, so selbstverständlich als wären es Maisplantagen. Wir glaubten unseren Augen nicht sofort, erst als wir uns die Pflanzen genauer anschauten, wurde uns der unglaubliche Anblick bewusst.

Bald interessierte sich ein junger Mann für uns, der leider nur schlecht französisch und gar kein spanisch sprach. Er verstand jedoch, dass wir eigentlich nach Akschour wollten und jetzt nach einem Wagen suchten, der dorthin fahren sollte.

Indirekt Landrover. Radebrechend erklärte er uns, dass er ganz in der Nähe einen Landrover habe, der uns dorthin bringen sollte. Die Kleinigkeit sollte uns 150 Dirham kosten. In Anbetracht der Tatsache, dass wir für den Lieferwagen nur 10 Dirham bezahlt hatten und wahrscheinlich auch, weil unser Freund kein allzu heller Geist war, hatten wir ihn am Ende auf 20 Dirham herunter gehandelt. Allerdings blieb uns daraufhin auch der Landrover vorenthalten. Nachdem er uns zunächst versichert hatte, sein Auto stehe um die Ecke, liefen wir am Ende einen mehrstündigen Hikingtrip durch mehrere Dörfer. Zu Anfang glaubten wir noch, hinter jeder neuen Biegung könne endlich der Landrover zum Vorschein kommen, bald jedoch schwante uns, dass wir hier einem Schwindler aufsässig waren.

Trotzdem waren wir am Ende mit unserem Führer mehr als zufrieden. Während der Tour wurde die Atmosphäre immer lockerer und die Sache mit dem Geländewagen wurde zum Running Gag. Von El Kelaa führte der Weg zunächst durch trockene und felsige Berglandschaften nach Arhermane. Die Wege, die wir benutzten waren für Autos unpassierbar und viele Dörfer in der Gegend konnten nur per Pedes oder mit dem Esel erreicht werden. Der Weg, den wir eingeschlagen hatten war jedenfalls kein einfacher Wanderweg, sondern vielmehr Lebensader für die Dörfer, die wir passierten. Unterwegs trafen wir öfter auf Kinder, die die Schafe hüteten oder alte Männer , die mit dem Esel unterwegs waren. Außerdem Frauen, die vom Feld kamen und auf dem Rücken riesige Mengen der Marihuana-Pflanzen transportierten als wäre es Reisig. Den Kindern schenkten wir unser Wasser oder schossen Fotos, was diese unglaublich spannend fanden.

Landbevölkerung. Wenn wir ein Dorf erreichten richtete sich unser Führer jedes Mal wieder her, indem er etwa sein Hemd wieder anzog und seine Hosenbeine herunterschlug. Dann wurden wir immer neugierig und freundlich empfangen. Die Kinder liefen uns nach, bis Martin seinen Foto zückte und sie jaulend auseinander stoben. Die Mädchen in den Dörfern drehten sich nach uns um und die wenigen, die einer westlichen Sprache mächtig waren, fragten uns nach unseren Namen. Die Dörfer hier waren unglaublich ärmlich, ohne befestigte Straßen, mit einfachen Hütten, ohne Strom aber dafür mit einem Graben, der die Wasserver- und Entsorgung darstellte. Überall lag Müll herum. Die Menschen aber machten einen freundlichen und keineswegs Mitleid-Erregenden Eindruck. Erstaunlich für uns war die Ruhe, die hier herrschte. Die Kinder schrien nicht und viele Menschen schienen den ganzen Tag nichts zu machen, als bloß herumzusitzen und zu schauen.

Wie in "The Beach". In Arhermane waren die Marihuanafelder noch grüner, größer und dichter als in El Kalaa, wir durchquerten eines von ihnen um eine Abkürzung zu nehmen. Ich fühlte mich ein wenig, wie im Film "The Beach", als ich mich durch die Plantagen schob und aufpasste, dass nichts an mir haften blieb. Unser Führer steckte uns eine Marihuanapflanze an den Rucksack - "könnt ihr behalten!". Nach allem was wir über marokkanische Gefängnisse gehört hatten, verzichteten wir aber. Der angenehme Unterschied zu jenem Film war, dass uns niemand auf der Wanderung mit der Waffe bedrohte.

Was uns später auffiel ist, dass diese Felder natürlich niemals dort zu sehen sind, wo man (also etwa die Polizei) mit dem Auto hinkäme. Immer liegen die Felder etwas abseits der normalen Routen. Um die Spezialität von Kif-Country zu erfahren muss man also immer etwas von den normalen Wegen abweichen.

Noch am Abend zuvor hatten wir uns in unserer Kiffer-Komune auf dem Dach von Hotel Castellan über die Preise für Hasch in dieser Gegend unterhalten. „Wenn man bescheid weiß“, meinte der Italiener in unserem Matratzenlager, „ kriegt man hier das Gramm für 10 Dirham.“

Nachdem wir Arhermane verlassen hatten, führte uns der Weg weiter bergan. Wir ließen das Drogental hinter uns und wanderten jetzt durch wunderschöne Kiefernwälder und felsige Berglandschaften. Die Aussichten waren spektakulär – ohne unseren Führer hätten wir den Weg aber nicht gefunden.

Abzocke in Akschour. Schließlich erreichten wir Akschour, eine Art touristischen Außenposten an einem Bergfluss, der hier gestaut wird und weiter oberhalb spektakulär in die Tiefe stürzt.

Da es hier nur zwei Hotels gab, die sich die Preise also ziemlich selbst bestimmen konnten, kam eine Übernachtung dort für uns nicht in Frage. Außerdem hatten wir das Ziel unserer Wanderung anstatt in zwei nun schon nach einem Tag erreicht – dank unseres Navigationsirrtums und unseres Führers, dessen Landrover wir nun endgültig ins Reich der Träume verabschiedeten.

An dem Hotel an dem wir unsere Wanderung beendeten – es handelte sich um einfache Hütten – erwartete uns bereits der geschäftstüchtige Hotelier und bot uns für 360 Dirham ein Zimmer an. Daraufhin fühlten wir uns hingerissen, leidenschaftliche Diskussionen über angemessene Zimmerpreise zu führen, schließlich zahlten wir für ein sehr viel schöneres Hotel in Chefchaouen lediglich 50 Dirham. Es ging dabei hoch her, man redete von reichen Europäern, die quasi verpflichtet seien, solche Preise zu akzeptieren und den Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung für die Errichtung des Hotels. Gut war, dass alle Beteiligten ihren Humor behielten.

Heimweg? Nur unser Guide, der wurde langsam traurig: Er erkannte nun seinen Fehler, von uns nur 20 Dirham verlangt zu haben, wo wir doch so reich waren und er für seine Heimfahrt mit dem Taxi allein mit 50 Dirham rechnen musste. Weil wir so zufrieden waren mit unserem unmotorisierten Führer gaben wir ihm am Ende 75 Dirham, unter dem Protest des Hoteliers, der für den Guide nicht weniger als 150 Dirham für angemessen hielt. Wir aber blieben standhaft – bezahlten dem armen Tropf aber am Ende die Taxifahrt nach Hause.

Das ergab das nächste Problem:

Die Bewohner dieses Fleckens sind ja nett und stets zu Scherzen aufgelegt, nutzen aber auch schamlos aus, wenn Touristen auf eine Dienstleistung – etwa die Fahrt nach Hause – angewiesen sind. Während in unserem Reiseführer von Preisen um die 45 Dirham für 3 Personen nach Chefchaouen die Rede war, forderten unsere freundlichen Gastgeber beharrlich 150 Dirham.

Taxi fahren. Erst die Auskunft anderer junger Touristen verbesserte unsere Verhandlungsbasis (die Verhandlungen bezogen sämtliche Bewohner des Fleckens mit ein) und drückte den Preis auf 90 Dirham. Der Taxifahrer beteuerte er müsse so viel verlangen, weil das Taxi mit drei Personen nicht voll besetzt sei – sprach es und sammelte 20 Meter weiter drei andere Araber auf, die sich offensichtlich auf sein Geheiß verborgen gehalten hatten. Wir namens mit Humor und hatten in dem vollen alten Mercedes noch viel Spaß als wir wenige Kilometer weiter auch noch vor einem Generatorhaus hielten, um weitere Fracht aufzunehmen, die wir wiederum einige Kilometer weiter wieder verloren.

Endlich zurück in Chefchaouen beschlossen wir den nächsten Tag zum ausspannen zu nutzen. Wir verabschiedeten uns von unserem Führer und verabredeten uns für eine Landrover-Tour im nächsten Jahr.

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