Saturday, October 22, 2005

Bauchschmerzen in Azrou



5. September: Azrou (13.00 Uhr)

Wieder unterwegs. Nachdem wir am letzten Abend in Fes noch unseren ersten Fakir und Schlangenbeschwörer gesehen haben, waren wir heute Morgen wieder bei Zeiten am Busbahnhof. Wir haben uns inzwischen an die Zustände im Lande gewöhnt, was man am eigenen Verhalten erkennt: Wir freuen uns, auf unseren Bus nur 45 Minuten warten zu müssen. Wenn wir wieder zurück in Deutschland sind müssen wir uns unbedingt abgewöhnen, über Leute zu reden, die unmittelbar neben uns stehen.

Jedenfalls unterhalten wir uns bis zur Abfahrt noch gut mit dem Personal, über Sex im deutschen Fernsehen und die Sache mit dem Telefonsex.

Dann sind wir wieder on the road, durchqueren eine trockene Ebene und fahren in die ersten Ausläufer des mittleren Atlas. Die Landschaft ist trocken und heiß, zerklüftet und leicht hügelig. Esel stehen stoisch in der Sonne und rupfen an den wenigen Sträuchen. Später, in den höheren Regionen, kommen wir auch durch einige Wälder aus Kiefern oder Zedern. Der Bus passiert Ifrane, eine herausgeputzte und berühmte Universitätsstadt. Ihre Häuser sind sehr europäisch mit Schrägdach – die Gegend wird auch die „Schweiz Marokkos“ genannt.

Schließlich erreichen wir Azrou, außerhalb dessen wir als die vorerst einzigen Gäste in die Jugendherberge einziehen. Für 20 Dirham die Nacht ist es unsere bisher billigste Bleibe. Die kalten Duschen nehmen wir bei dieser Hitze dankend in Kauf.

Der Herbergsvater ist sehr nett und herzlich und plötzlich wird klar, dass er sich ganz anders verhält als seine Landsleute. Er verhält sich europäisch – den Unterschied merkt man in dieser Deutlichkeit aber nur, weil alle anderen hier Araber sind.

6. September, Azrou, 20.00 Uhr

Erste Symptome. Die ersten Anzeichen für eine gewisse Schwächung hatte es schon gestern Mittag, auf dem Weg zur Jugendherberge gegeben. Ich schien die Sonne nicht so gut auszuhalten wie sonst. Später verbrachten wir den Nachmittag im Zentrum der kleinen Stadt. Die Hitze nahm einem die Lust zum Essen, dennoch kehrten wir schließlich ein und bestellten Brochettes – eine Art marokkanischer Frikadelle. Im Restaurant fiel uns auf, wie schwer sich viele Araber mit dem Rechnen tun: Der Kellner musste sich kurz zurückziehen um 55+18 zu rechnen.

Einfache Menschen in Azrou. Anschließend liefen wir noch durch das abendliche Azrou, das sich malerisch an die Berge des mittleren Atlas schmiegt. Wir erforschten auch die Wohngebiete abseits des Zentrums. Dort gibt es Viertel, die viel weniger malerisch, aber dafür etwa so aussehen, wie man sich das arme Afrika vorstellt: Unbefestigte Straßen, Steinhäuser im Rohbau, Müll auf den Straßen, dazwischen: Eselkarren, Hausfrauen und vor allem: Kinder.

Die kamen beim Anblick zweier Ausländer sofort zusammengelaufen. Wir setzten uns eine Weile zu ihnen und versuchten uns mit ein paar Brocken arabisch und mit Händen und Füßen mit ihnen zu unterhalten. Als wir die Fotos hervorholen rasten sie fast aus.

Krank. Dann auf dem Heimweg passierten wir noch einen geschäftigen Markt, bevor es bei mir richtig losging: Durchfall, Übelkeit, Kopfschmerzen.

Die Nacht verbrachte ich daraufhin auf dem Klo, die Spanier die auch noch gekommen waren, lachten sich über die Geräusche, die aus dem Bad drangen kaputt. Ich verbrauche meine gesamte Unterwäsche, mitten in der Nacht geht mit das Klopapier aus – in Marokko muss jeder sein eigenes mitbringen.

Den nächsten Tag bleibe ich allein in der Jugendherberge, in einem Zimmer mit vielen leeren Betten. Von einer Gruppe Franzosen habe ich mir etwas Klopapier erbettelt, um über den Tag zu kommen.
Durch das Fenster kann ich die Dächer von Azrou sehen. Während Martin die Stadt weiter erkundet liege ich da und mach mir viel zu viele Gedanken. Der Durchfall und alle anderen Beschwerden gehen in der folgenden Nacht vorüber, es bleibt ein ständiger Hunger, ein gewisser Ekel vor dem immergleichen Essen und Mangelerscheinungen am Zahnfleisch, das nicht mehr aufhören will zu bluten.

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