25. September, Rabat.
Erst um drei ist unsere Verabredung mit Nathalie, einer deutschen Aiesec-Praktikantin, die wir zwar noch nie gesehen haben, mit der wir aber per E-Mail ausgemacht haben, ihre WG zur Übernachtung zu nutzen. Natürlich fällt es uns nicht schwer, die Zeit bis zu unserem Treffen in einem Cafe in der Innenstadt bei einer süßen Tasse Tee zu vertrödeln.
Die WG findet sich – nachdem wir die Probleme durch fehlende Hausnummern und durcheinander gewirbelte Appartmentnummern gelöst haben - relativ schnell. Wir werden herzlich empfangen, die Wohnung ist recht groß, ziemlich kahl und Nathalie teilt sie sich mit vier weiteren Mädels, die alle mit Aiesec hier Praktika machen.
Die anderen Bewohnerinnen kommen aus Holland, Deutschland, den USA und Hong Kong und arbeiten alle als Lehrer bei einem NGO, das in einem der ärmeren Stadtviertel die Jugendlichen betreut. Aus dieser Gruppe Jugendlicher rekrutieren sich auch die männlichen Freunde der Bewohnerinnen.
Die Truppe ist jedenfalls sehr freundlich und eine Weile erzählen sie vom Leben in diesem arbeitsfaulen Land, von ihrer Arbeit als Englisch-Lehrer und von Aiesec.
Unsere Gastgeberin ahnte nicht einmal, dass wir auch aus Mainz kommen, so ist der Aha-Effekt enorm und die Atmosphäre entspannt.
Am Eingang gibt es eine Sicherheitsschleuse – der Botschafter hat sich angekündigt. Er nimmt mit seinem Personal die zwei ersten Reihen in Beschlag. Nathalie erzählt, der Mann sei noch neu und es wäre allgemein bekannt, dass er zu seiner Ankunft erst mal Dünnschiss bekommen habe.
Ein klassisches Bläser-Quintett mit guter alter europäischer Musik, lässt unsere Ohren nach einem Monat wieder mit Freuden zuhören. Anschließend gibt es ein kostenloses – ganz und gar unmarokkanisches Häppchen-Buffet.
Wir unterhalten uns kurz mit dem Chef des Goethe-Instituts – deutschtümeln im Ausland tut doch manchmal sehr gut.
Bahnhofskneipe. Anschließend ist die Truppe zunächst unterwegs zu einem Imbiss. Merrel, die Niederländerin, Nathalie und wir gehen auf Alkoholsuche. In einer heruntergekommenen Bahnhofsspelunke werden wir fündig: Das „Café Francais“.
Die Stammkundschaft und der Wirt staunen nicht schlecht, als wir mit zwei Blondinen durch die Tür kommen. Die Nutten im Hause werden misstrauisch aber Martin ist total begeistert. Wir bleiben, bis Merel und Nathalie wegen der vielen Tätscheleien aufgeben.
Die Marokkaner unter uns verbringen quasi ihr gesamtes Leben am Strand, die Mädchen berichten, dass sie höchstens mal Gelegenheitsjobs haben und von der Hand in den Mund, bzw. Durch die Familienunterstützung leben. Dafür können sie gut Fußball spielen und haben eine echte Strandfigur.
Am Nachmittag laufen Martin und ich weiter durch die Hauptstadt. Vor dem Parlamentsgebäude protestiert eine kleine Gruppe Blinder mit Rufen und Gesängen. Ein großes Polizeiaufgebot löst die Versammlung schließlich auf und die Beamten tragen die Demonstranten in Seitenstraßen.
Beim Mittagessen in einem Bistro an der Hauptstraße läuft eine Kakerlake über den Tisch. Wir müssen Grinsen, denn nach fast einem Monat der Gewöhnung macht uns das nicht mehr viel aus.
Am Abend landen wir wieder – diesmal nur zu zweit – in der gleichen Spelunke wie am Vorabend. Man kennt uns bereits.
Die Tage hier vergehen angenehm und ruhig, die Praktikantinnen haben sich dem arabischen Lebensrythmus angepasst und arbeiten dementsprechend wenig.
Auch die Araber auf den Straßen scheinen einfach langsamer zu laufen – man möchte ihnen von Zeit zu Zeit am liebsten in den Hintern treten, damit sie etwas Schwung kriegen.
Genauso die Soldaten am Mausoleum: Das Grab der Königsväter und –Großväter bewachen Soldaten in Trachtenuniform. Aber das tun sie nicht etwa, indem sie stramm stehen , sondern in äußerst relaxter Pose. Sie lehnen an den Wänden oder halten sich an ihren Gewehren fest und rauchen dabei noch eine Zigarette.
Nebenan besuchen wir den Tour Hassan. Ein weiteres Symbol königlicher Macht. Und wie könnte es anders sein, in einem Land der Trägheit? Unvollendet.
Schließlich beginnt sich direkt vor unserem Café eine Gruppe zu bilden. Immer mehr Protestierende kommen hinzu und schließlich beginnen sie mit ihren Rufen. Das Militär ist nach wenigen Augenblicken zur Stelle. Zunächst schauen sie den etwa 50 Demonstranten nur zu, doch plötzlich - ohne Vorwarnung - schlagen sie los. Mit ihren Stöcken und Stiefeln treten sie auf die Blinden ein. Diese geraten in Panik und versuchen in ihrer Hilflosigkeit zu fliehen. Sie wenden sich unserem Café zu und beginnen zu rennen – mitten in die Tische und die Gäste des Cafés.
Während wir Schwierigkeiten haben, nicht über den Haufen gerannt zu werden, stürzen die Blinden in Tische und Geschirr. Das Geschrei ist groß, die Panik auch. Direkt neben uns stolpert einer der Demonstranten in ein Blumenbeet und bleibt liegen. Zunächst denken wir, er suche nur Deckung, aber als der Sturm vorrüber ist, rührt er sich noch immer nicht. Zusammen mit einigen anderen Passanten helfen wir ihm auf einen Stuhl. Er spuckt Blut und hat offensichtlich Schläge in die Nierengegend abbekommen. Später kommen Krankenwägen vorgefahren während das Café-Personal die Tische wieder aufstellt.
In der Medina von Rabat schlendern wir durch den abendlichen Souq und suchen nach gut gefälschten Turnschuhen. Gute Fälschungen sind wirklich schwer zu bekommen hier.
Dafür gibt es zum Beispiel Videos von Hundekämpfen.